Sequim und Deutschland gegen Portugal
Es ist Samstag, der 8. Juli 2006, 23 Grad Celsius. Wir schaffen’s sicher noch bis 30 Grad heute. Knallblauer Himmel, Sonne, leichter Wind – bestes Nordwestsommerwetter. Deutschland spielt gerade gegen Portugal um den dritten Platz. Steht noch 0:0 im Moment, ich guck nur halbherzig zu.
Im letzten Jahr zu dieser Zeit waren wir ein Wochenende in Sequim auf der Olympic Peninsula, eine ca. 2-stündige Fähren- und Autofahrt von Seattle entfernt. Zuerst mit der Fähre von Downtown Seattle nach Poulsbo und dann Richtung Nordwesten via Landstraße. Wunderschönes kurviges und waldiges Gelände. Wäre bestens zum Motorradfahren geeignet.
Ok, jetzt hat Schweinsteiger gerade das erste Tor geschossen, 1:0 für Alemania! Ist übrigens sehr amüsant, wie die amerikanischen Moderatoren seinen Namen aussprechen. „Schwaainstaaigor“. Jetzt brüllt der Moderator noch: „What a fantastic strike!“. Ich schau mir kurz die Wiederholung an – das Publikum hat sich in einen johlenden und fahnenschwingenden Hexenkessel verwandelt.
Zurück zum Thema. Das Haus der Lorigs in Sequim liegt direkt am Wasser und zwar an der Dungeness-Landzunge. Man kann wunderbar auf der Zunge spazieren gehen – vorbei an verrottenden Booten und alten Fischerhäusern.
Wow, ich krieg meinen Sequim-Artikel ja kaum fertig heute, Schwaainstaaigor hat gerade das zweite Tor reingeknallt – nur Minuten nach dem ersten. Ein portugiesischer Spieler hat ihm noch etwas dabei geholfen – sah aus wie ein Eigentor. Wie unangenehm! Das Publikum singt jetzt eine anspornende Olé-Olé-Hymne mit Händeklatschen zwischendrin. Was ist das bloß für’n Text? Ich muss das mal kurz etwas recherchieren.
Deutschlandfunk erklärt: "Du bist Deutschland! Dein Wille ist wie Feuer unterm Hintern. Er lässt Deinen Lieblingsstürmer schneller laufen."
Und der Tagesspiegel schreibt unter dem Motto Besser singen lernen folgendes: „Die Sportfreunde Stiller sind die deutsche Fußballband schlechthin. Benannt nach ihrem Jugendtrainer, gespalten in der Zuneigung zu beiden Münchner Vereinen, hatten sie bereits vor Jahren angekündigt, einen WM-Song zu schreiben. Und siehe da, das Sportfreunde-Lied „54, 74, 90, 2006“ wird von den Fans in den Stadien fleißig gesungen.“
Der Kölner Stadtanzeiger meint, wir haben es mit einer heiteren Republik zu tun: „Party und Patriotismus. Bei der Fußball-Weltmeisterschaft sind die Deutschen gut drauf. Fußball ist Feiern und Singen. Möge also die selbstbesoffene Zeit der wunderbaren schwarz-rot-goldenen WM-Gastgeberei möglichst lange währen. Selbst das sonst so gestrenge Ordnungsamt der Stadt Köln zeigt sich flexibel und lässt eine Straße gesperrt, die nach Bauarbeiten eigentlich wieder freigegeben werden müsste, damit die Italiener dort weiter mit ihren Stühlen auf der Fahrbahn sitzen und WM gucken können. Und weil alles seine Ordnung haben muss, wird das Verwaltungsdeutsch dafür eigens um einen Fachbegriff erweitert: die „nachempfundene Baustelle“.
Schweinsteiger hat jetzt flugs noch einmal zugeschlagen – 3:0 für Deutschland. Also hat das Publikum inzwischen wirklich allen Grund zum Singen. Aber eigentlich wollte ich doch wissen, WAS GENAU gesungen wird…
Wissenschaft im Dialog schreibt, dass das Repertoire der deutschen Fans zwischen 30 und 50 Liedern umfasst. „Meistens werden nur Teile eines bekannten Liedes übernommen und mit eigenen Texten gesungen. Die Melodie der Zeile „Zieht den Bayern die Lederhosen aus“, etwa ist dem Refrain des Beatles-Liedes „Yellow Submarine“ entnommen. Typische Fanlieder zeichnen sich durch Kürze und Prägnanz aus. Charakteristisch ist auch der geringe Tonstufenumfang, mit dem selbst ungeübte Stimmen nicht überfordert sind. Einfache Klatsch- oder Trommelrhythmen erhöhen die Bereitschaft zum Skandieren und Singen.“
Olé olé olé olé… Huch, jetzt hat Portugal gerade einen klasse Kopfball reingetan. Trotz allem johlen die Deutschen weiter…
„Im Vergleich zu Sportarten wie Handball oder Basketball gibt es beim Fußball nicht viele Torschusssituationen. So bleibt den Fans dazwischen genügend Zeit, ihren Emotionen vokal freien Lauf zu lassen und Gesänge oder Klatschrhythmen aufzubauen.“
Nun wissen wir das auch.
Sequim selbst liegt an einem „spit“, keine Ahnung, was das auf deutsch heißt. Irgendso’ne bestimmte Art Landzunge. In der Sprache des S’Klallam-Stammes bedeutet S’Kwim stille Wasser. Es ist wirklich traumhaft schön hier.
Nach einer einstündigen Wanderung wird auf der Veranda gegammelt.
Genug für heute! Ich werde mich jetzt in meine Reithose werfen und Miss Putz besuchen – wie jedes Wochenende. Die Madame werde ich Euch auch in Kürze vorstellen.
Ersma – T.